Aus Erwin Gros‘ „Winkelhude und anderes“

Veteran Schlössermann

Im blauen Ländchen lebte noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Veteran Schlössermann. Er war, soviel ich weiß, Schweinehirt in Nordenstadt. Er hatte die Feldzüge der nassauischen Regimenter in Spanien und Flandern mitgemacht. Lebhaft und anschaulich wußte er von seinen Abenteuern zu erzählen, und weil er eine rege Einbildungskraft besaß, darum kam mit der Zeit manches hinzu, und je öfter er es wiedergab, desto mehr wurde es für ihn selbst Tatsache und Wahrheit. Und zuletzt war der Veteran Schlössermann so gewachsen, daß er neben Napoleon als gleichwertige, historische Persönlichkeit stand.

Doch lassen wir ihn selbst erzählen. Er sitzt im Wirtshaus bei einem Glas Hohenastheimer, eine Weile lässt er sich nötigen, dann hebt er also an:

Also, ihr Leute, das war in dem Jahr, wo der Bonaparte wieder Krawall mit Österreich anfing, da mußte unser Herzog auch ein Regiment stellen. „Schlössermann“, sagte unser Schultheiß, „Schlössermann, du bist ein ganzer Kerl, da mußt du mit, da hilft nix, wenn’s die Ehre vom blauen Ländchen gilt.“ Na, was wollt ich da machen, ich hatte mich zwar freigelost, da aber hieß es, nix wie mit! Also, wir werden einexerziert, stramm, sage ich euch, dann kamen wir an die Donau, und der kleine Korporal hielt selbst die Revue über uns ab. Und wie er so die Front hinunter geht, da bleibt er auf einmal bei mir stehen und guckt mich an, ich sage euch, er guckt mich an, das ist gar nicht zu beschreiben. Dann fragt er mich: „Wie heißt du, mein Sohn?“ „Schlössermann, Majestät“, antwortete ich. „So“, sagte Napoleon, „das ist der Schlössermann, ja, ich habe mir das doch gleich gedacht, das ist ein Mann von dem Holz, aus dem man Helden schnitzt“; – aus dem man Helden schnitzt, hat er gesagt, Leute! Dann ging er weiter; nachher kam er noch einmal zurück und sagte: „Schlössermann, ich werd dich nicht vergessen!“ „No“, sagte ich, „Majestät, wir bleiben ja noch eine Zeitlang beeinander!“

Und so war’s auch; wir marschierten nach Spanien, – eine schöne Gegend, aber ungemütliche Leute; aus allen Ecken kamen die blauen Bohnen geflogen, sogar die Weibsleute waren wie der leibhaftige Satan darauf versessen, unsereinem das bißchen Lebenslicht auszublasen. Erst wie wir nach Madrid kamen, da wurde es ein klein wenig gemütlicher, da lag doch zuviel Militär, da haben sie sich nicht an uns so herangetraut wie draußen in den Bergen, wo die vielen Schlupfwinkel waren.

Da stehe ich eines Tages im Escorial, das ist ein großes Schloß, noch schöner als unserem Herzog seins zu Biebrich, also da stehe ich Posten auf einem ganz langen Hausgang, rechts und links eine Türe an der anderen. Auf einmal, wie ich an der Treppe bin, – grad hat ich gedacht, was werden sie denn jetzt daheim machen, – da klopft mir jemand auf die Schulter, ich dreh mich um, richtig, es war der Bonaparte.

„Na, Schlössermann, wie geht’s?“

„Danke der Nachfrage, Majestät, gut.“

„Wie ist die Verpflegung, Schlössermann?“

„Na, Majestät, man hat sich so langsam an die spanische Küche gewöhnt!“

„Weißt du auch schon, Schlössermann, daß ich nach Rußland ziehe?“

„Jawohl, Majestät, – aber das tät ich nit, da wär mir’s zu kalt, da verfriert man sich alle edleren Teile!“

„Das verstehst Du nit, Schlössermann.“

„Nix für ungut, Majestät, aber wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann bleiben Sie von dem Kosakenland weg, die Sache gerät nit!“

Eine Weile stand der Napoleon ganz in tiefen Gedanken versunken, genau so habe ich ihn auf dem Bild daheim, dann sagte er: „Schlössermann, du kannst recht haben, hätte ich dich nur eher gefragt, aber die Sache ist schon zu weit, der Handel kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ja, aber wir bleiben gute Freunde!“

„Wir wollen’s hoffen, Majestät!“

Aber seht, ihr Leute, das ist nit so geblieben, ich hatte recht gehabt mit Rußland, hätte er mit gefolgt, er wäre heute noch Kaiser von Frankreich und ich wäre was anderes als Euer Schweinehirte, das könnt ihr glauben. So aber konnten wir zwei nit mehr Freunde bleiben, er kam auf die eine Seite und ich auf die andere. Jetzt sagten wir zum Engländer gut Freund und fuhren mit seinen Schiffen nach Flandern. Und da war der letzte Tanz. Der Napoleon war von Elba herübergekommen und hatte im Handumdrehen wieder eine große Armee auf die Beine gebracht.

Ich sehe es heute noch, wie wir auf einer kleinen Anhöhe standen bei einem Bauernhof, noch größer wie dem dicken Bauern in Nordenstadt seiner, auf einmal kam der Herzog Wellington auf seinem Schimmel angesprengt, hinter ihm ein lander Schwanz von Adjutanten und Generälen.

„Seid ihr Nassauer bereit?“ rief er mit lauter Stimme.

„Jawohl“, schrien wir.

„Ist auch der Korporal Schlössermann von Nordenstadt da?“

„Jawohl“, sagte ich, trat aus dem Glied und schulterte mein Gewehr.

„Das ist gut, dann kann die Schlacht bei Bellalliance oder Waterloo losgehen!“ sagte der Wellington und winkte mit der Hand.

Und da gings los, ich sage euch daß einem schier Hören und Sehen verging. Aber wir standen wie die Mauern. Am Nachmittag, wie der Wind einmal den Pulverdampf weggeblasen hatte, da sah ich plötzlich, wie der Marschall Ney auf den Bonaparte zureitet, und was da zugegangen ist, hat mir ein guter Freund aus dem Elsaß, den ich nachher im Lazarett getroffen habe, erzählt. Also der Marschall Ney sagte zum Napoleon, „Majestät, die Garden müssen daoben hinauf und den Hügel und den Bauernhof erstürmen, dann ist die Schlacht gewonnen.“

„Wer steht da oben, Herr Marschall?“, fragte der Kaiser.

„Das weiß ich nit“, antwortete der Marschall.

„Dann soll ein Adjutant mal heranreiten und zusehen.“

Und was glaubt ihr, kommt da ein Adjutant bis an die Mauer heran und ruft: „Was seid ihr für Leute?“

„Wir sind Nassauer“, schreien wir.

Er seinen Gaul herumgedreht, fort war er und wieder beim Napoleon.

„Na!“, sagte er.

„Majestät, da stehen die Nassauer.“

„Die Nassauer“, sagte Napoleon und schüttelte ganz verzweifelt den Kopf, „da ist mein Freund Schlössermann dabei, da hilft’s nix, da kommen wir nit durch.“

Ja, ihr Leute, so ging die Schlacht bei Bellealliance oder Waterloo verloren, und der Napoleon mußte nach St. Helena, wo er elendig gestorben ist.

„Schad‘ um den Mann, er konnt‘ auch mehr wie Brot essen!“

Quellen:

Gros, E. (1925) Winkelhude und anderes. Oranien-Verlag Herborn.

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